Autistischer Burnout – Erfahrungsbericht von Lilo (aus der SHG)

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Liebe SHG-Teilnehmer, anbei ein Erfahrungsbericht von Lilo, einer Teilnehmerin der SHG Ingolstadt. Der Artikel ist wirklich sehr lesenswert und wir wünschen uns, dass bei vielen Betroffenen ein „Ah-Ha“ Effekt eintritt. Der Begriff „Burn-out“ wird leider etwas inflationär eingesetzt, trifft es aus fachlicher Sicht jedoch hervorragend. Es ist erfreulich zu sehen, dass die Unterstützung aus dem fachlichen Umfeld eine positive Veränderung herbeigeführt hat.

Autistischer Burnout – noch nie gehört, aber alles schon erlebt (Text von Lilo Oberle)

Ursprung des Artikels:

Der Text stammt ursprünglich von Autismus Mittelfranken e.V.1 und ist ein Erfahrungsbericht der Mutter Lilo.

Wir dürfen freundlicherweise auf diesen Text verweisen, der hier im Original zu lesen ist:

Autistischer Burnout – noch nie gehört, aber alles schon erlebt | Autismus Mittelfranken e.V. 2

Zur einfacheren Lesbarkeit haben wir den Text in weitere Absätze unterteilt. Der Artikel und sein Inhalt selbst ist unbearbeitet.

Der Erfahrungsbericht von Lilo

Unsere Erfahrungen möchte ich gerne mit euch teilen, weil uns der autistische Burnout als Fachbegriff bisher nicht bekannt war. Und ich glaube, der Begriff hätte uns seinerzeit geholfen, all die Schwierigkeiten unseres Sohnes etwas besser einschätzen und erklären zu können.

Vor wenigen Monaten kam ich über die Leiterin unserer Selbsthilfegruppe auf die Bezeichnung. In Wikipedia nachgeschaut, einen Vortrag (von Christina Nicolaidis) auf Youtube entdeckt und meinem Sohn gezeigt: „Findest du dich darin wieder?“ Seine Antwort: „Ja, genauso war’s.“

Also der Reihe nach. Diagnose unseres Sohnes mit 12 Jahren (damals noch Asperger Syndrom). Ich hatte damals den Eindruck, er komme in der Schule, Freizeit und zu Hause weitgehend gut zurecht und fühle sich wohl. Auch wenn er v.a. in der Schule häufig Kopfweh hatte und eine gewisse Dauermüdigkeit. Jetzt war er froh, für sein Anderssein, das er durchaus spürte, mit der Diagnose einen Namen gefunden zu haben.

Es war gerade die Zeit der Corona-Pandemie mit Homeschooling und halbierten Klassen in Präsenz. Zurück im normalen, großen Klassenverband (die Klasse hatte sich neu zusammengesetzt) gab es Nachteilsausgleich, eine Klassenaufklärung (durch den MSD Autismus) und eine Lehrerin des wunderbaren Inklusionsteams der Schule, die für uns jederzeit ansprechbar war in allen Belangen.

Das ging ein Schuljahr weitestgehend gut (meine Sicht) – oder doch eher schlecht als recht (unser Sohn). Im neuen Schuljahr dann kam unser Sohn nicht mehr zurecht, viel Kopfweh, deutliche Einschränkung bei Antrieb, Auffassungsgabe, Merkfähigkeit, Arbeitstempo, Stressbewältigung, depressive Symptome kamen hinzu. Also Druck rausnehmen, nach Entlastungsmöglichkeiten suchen.

Aber ausgesetzte Benotung und Stundenreduzierung halfen nicht. Schule blieb für unseren Sohn ein sinnloser Horror ohne Perspektive. Schulwechsel im Februar, um Leistungsdruck und fachlichen Anspruch runterzuschrauben. Nach anfänglicher Hoffnung kamen der Horror, die Verweigerung, die Perspektivlosigkeit und die depressiven Phasen zurück. Die Situation belastete unseren Sohn sehr und war für unsere gesamte Familie eine schwierige Herausforderung.

Wieder suchten wir nach möglichen Hilfen und Lösungen. Schließlich gingen wir als ganze Familie in die familienpsychosomatische Klinik nach Simbach am Inn. Das brachte für uns alle ein paar Wochen Entlastung. Ich habe die Zeit dort gut für mich nutzen können, der ganzheitliche Ansatz (Einzel-, Gruppentherapie, Entspannung, Sport) und der rege Austausch mit anderen Familien taten mir gut.

Für unseren Sohn gab es Höhen und Tiefen dort. Er konnte sich vielfach auf das Programm einlassen, allerdings fielen ihm die Tagesstruktur und immer wieder die Eigenmotivation und der Besuch der Klinikschule schwer. Letztlich hat er sich dort erarbeitet, dass Schule gerade nicht machbar ist, er lieber etwas Praktisches machen möchte, in einer Einrichtung, die mit Autisten/-innen umzugehen versteht, – und damit auch ein Weggehen von zu Hause.

Wir hatten Glück: Wieder zurück, akzeptierte die Schule eine dauerhafte Krankschreibung und das Jugendamt unterstützte die Suche nach einer Einrichtung tatkräftig, was allerdings Zeit brauchte.

Wir waren Mitte November aus der Klinik zurückgekommen, das erste Gespräch bei einer Einrichtung hatten wir Anfang Februar und los ging es dann schließlich Mitte August. Ein Dreivierteljahr in Warteposition, das zieht ganz schön runter. Ich habe unserem Sohn eine Tagesstruktur vorgegeben, um einen kompletten Rückzug in Antriebslosigkeit und Depression zu verhindern, es war für ihn und uns sehr mühsam und anstrengend. Und natürlich habe ich immer wieder versucht, zu verstehen, warum unsere Situation so ist, unser Sohn sich so schwer tut mit Anforderungen, Tagesstruktur, innerem Antrieb. Nein, eine sogenannte PDA (Pathological Demand Avoidance) war es nicht wirklich.

Was aber passierte hier eigentlich? Es gab so viele Dinge, die für unser Sohn vor zwei/drei Jahren noch unproblematisch waren: z.B. Schulbesuch – nicht machbar; Musik hören – gar nicht mehr; Arztbesuche – irgendwie machbar, aber super stressig; rumalbern, Spaß haben – hm, nur sehr selten; Kleidung kaufen – kurz vor dem Kollaps. 

Und dann fand ich den passenden Begriff, der alles so schlüssig erklärt:

Autistischer Burnout: Anhaltender Zustand intensiver mentaler, emotionaler und körperlicher Erschöpfung mit einer Verstärkung der autistischen Symptomatik sowie einer verminderten kognitiven Leistungsfähigkeit, Hauptursache: chronischer Stress durch fortwährende Überlastung (nachzulesen: de.m.wikipedia.org/wiki/autistischer_burnout).
Symptomatik: Rückzug, Verstärkung sensorischer Überempfindlichkeit, herabgesetzte Stresstoleranz, Verschlechterung der Lebenskompetenz (- oh ja, die Tagesstruktur!), Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme und in der Folge ist der Alltag nur noch eingeschränkt bewältigbar. – Ja, genau so war es.

Der autistische Burnout kam nicht plötzlich, er hat sich nach und nach eingeschlichen. Aber mit unseren kleinen Stellschrauben, an denen wir drehten in der Schule, in der Therapie, zu Hause, konnten wir die Dauerüberlastung nicht aufhalten. Ein Patentrezept als wirksames Gegenmittel gibt es leider bisher nicht, soweit ich weiß. Aber wir hoffen, dass wir das nicht mehr brauchen werden – so der Idealfall. Und wir wünschen allen anderen von Dauerüberlastung bedrohten oder betroffenen Personen/ Familien, dass sie einen gut machbaren Weg für sich finden.

Heute geht es unserem Sohn zum Glück wieder gut. Er hat (fast) all die Schwierigkeiten innerhalb von ein paar Monaten hinter sich gelassen. Ich bin so stolz, dass er das hinbekommen hat. Sein „Erfolgsrezept“ (während der Eingewöhnung in der Einrichtung): Hilfe annehmen, eiserner Überlebenswille und der große Wunsch, wieder Freude zu spüren.

Mit dem Wechsel zu dem Berufsbildungswerk Don Bosco kam – auch wenn die Eingewöhnung erst mal super schwierig war – wieder eine Perspektive in sein Leben. Er macht gerade sein Berufsvorbereitungsjahr und möchte dort im August seine Ausbildung im Metallbereich beginnen. Er lacht wieder, albert rum, hört Musik, fühlt sich wohl und hat seinen Weg gefunden.

Lilo O.

Weitergehende Informationen

Wer noch etwas tiefergehende Informationen zu dem Thema haben möchte, kann hier auf dem Blog von Hans weiterlesen.

https://www.autismus-anders-denken.de/2-wissen/autistischer-burnout-erfahrungsbericht-mit-kommentaren


Quellen:

Bild von Nino Souza Nino auf Pixabay